Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Kristin Häuser und ihr „Wollzirkel“

01.12.2014

Bildinhalt: Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Kristin Häuser und ihr „Wollzirkel“ |
"Wollzirkel"-Inhaberin Kristin Häuser vor bunter Wolle / Foto: Enrico Engelhardt
 

Der Laden im Leutzscher Teil der Georg-Schwarz-Straße ist eher klein und unscheinbar. An der Hauswand links und rechts Graffitischmierereien, dazwischen eine Tür und ein mittelgroßes Schaufenster, über dem eine farbige Wimpelkette baumelt. Am auffälligsten ist das große bunte Garnrad, welches an einem in der linken Hauswand verankerten Ast neben dem Georg-Schwarz-Straßen-Schild über dem Gehweg hängt. Traumfängerartig weist es auf das Innere des Ladens hin. Hier in der Georg-Schwarz-Straße 112 befindet sich der „Wollzirkel“. So steht es in großen Buchstaben auch im Schaufenster geschrieben. Sobald es dunkel wird, entfaltet der kleine Laden jedoch seinen besonderen Charme. Dann sind die Graffitis verschwunden bzw. werden fast unsichtbar neben dem heimeligen Wohlfühl-Leuchten, welches aus dem Schaufenster auf die Straße strömt. Wie eine Märchenstube wirkt der Laden, mit seiner liebevollen Einrichtung.

Innen steht man auf rustikalem Holzfußboden. Die Wände sind schön gestaltet. Wollpuppen schauen den Besucher von selbst gespannten Regalen an. Auf drei kleinen Tischen warten schöne alte Nähmaschinen auf ihre Benutzung. Schränkchen, Nähkästen und Kisten stehen an den Seiten. Blumen und eine Kerze vor einer Skulptur sind auf einem Schränkchen zu finden. An einer Wand hängt ein Webrahmen, an einer anderen ein großes Holzrad. Ein Bücherregal hat in einer zugemauerten Tür Platz gefunden. Alles passt hier irgendwie zusammen und wo man hinschaut, findet man Stoffe, Kissen und Wolle. Der Laden bietet innen sogar erstaunlich viel Platz. Eine gemütliche Sitzgelegenheit ist auch vorhanden. In dieser kleinen Textilwerkstatt lässt sich gut arbeiten.

Die Inhaberin des „Wollzirkel“, Kristin Häuser, hat sich viel Zeit genommen, um den Laden so einzurichten. „Es ging mir um das Raumklima“, erklärt sie, „dass man sich hier wohlfühlt war und ist mir wichtig.“ Die Geschichte der jungen Frau ist erst seit einem Jahr mit der Georg-Schwarz-Straße verbunden. Im Januar 2014 hatte sie ihren Erstkontakt mit der Magistrale: „Es war Winter, die Sonne ging unter, aber ich hatte den Laden hier über HausHalten e. V. im Internet gefunden und wollte ihn unbedingt an dem Tag noch sehen. Die Straße war mir fremd, es war wie ein Spuren suchen. Leute, die etwas machen wollen, finden hier einen Raum, wurde mir gesagt. Es waren auch schon andere da, die mich in meiner Entscheidung bestärkt haben. Dann sah ich den Laden und habe ihn gleich ins Herz geschlossen.“ Bis zur Mietvertragsunterzeichnung gingen noch einige Wochen ins Land. Kristin Häuser war schon als Kind von Handarbeiten fasziniert, hat gern gebastelt und genäht. Sie studierte dann Mode in Berlin, wollte aber nicht für ein großes Modeunternehmen arbeiten und entschied sich, ihr Glück im Ausland zu versuchen. Vier Jahre lang lebte sie in der lettischen Hauptstadt Riga, betrieb dort mit anderen zusammen ein Kunstatelier und hat dabei hauptsächlich schon mit Textilien gearbeitet. Auch die Idee mit den gemeinsamen Abendbroten ist dort entstanden. Mit der Zeit merkte Kristin Häuser, dass es schwierig sein würde, in Lettland zu leben ohne ihre kulturelle Identität aufzugeben. „In Riga war es schwieriger für mich, weil ich ein Ausländer war und die Letten mir gegenüber nicht so offen waren. Ich habe versucht das Konzept, welches ich dort in Riga entwickelt habe, hierher nach Leipzig zu übertragen. Die Menschen hier sind viel offener und nehmen Dinge besser an.“

Bis es soweit war, dass der Laden in Leutzsch seine Eröffnung feiern konnte, gab es noch viel zu tun. „Im März habe ich den Laden übernommen, bin dann zurück nach Lettland um meine Angelegenheiten zu regeln und ab April war ich vor Ort und begann damit, den Laden auszubauen. Ich habe den Fußboden wieder in seinen Originalzustand versetzt und abgeschliffen. An der Decke entfernte ich die Styroporplatten und habe sie anschließend mit Lehm verputzt. Es war ein langsamer Entwicklungsprozess, aber dafür soll es ja auch nachhaltig sein.“ erklärt sie. Zwischenzeitlich nahm sie im Mai am Georg-Schwarz-Straßen-Festival teil. Die Zeit für den Ladenausbau benötigte Kristin Häuser auch, um selbst wieder in Deutschland anzukommen. Etliche Behördengänge mussten erledigt werden, zumal sie selbst in Leipzig neu war. Dass ihre Wahl auf diese Stadt fiel, fasst sie so zusammen: „Es war eher ein Gefühl, eine Intuition, die mich nach Leipzig brachte. Von der Stadt geht eine positive Entwicklung aus, die Stadt ist spannend. Für mich fühlt es sich hier richtig an, es passt.“ Hinzu kommt ihr familiärer Hintergrund. Ursprünglich aus Wittenberg stammend, hat sie es nicht weit, wenn sie ihre Eltern besuchen will. Die Entscheidung erwies sich wirklich als richtig, wie sie bald feststellte.

Schon während der Ausbauarbeiten waren die Leute neugierig, kamen in den Laden herein, erkundigten sich, was sie mit dem Geschäft vorhabe. Für ihr Konzept erntet sie zwar noch mancherlei Skepsis, aber Kristin Häuser ist überzeugt, die wird sie zerstreuen können: „Ich habe keinen Zweifel an meinem Ansatz. Natürlich ist das ein Experiment, eine Werkstatt für Textilien. Die meisten Leute fragen auch gleich, was ich verkaufe, weil sie das von einem Laden so gewohnt sind. Aber der Fokus liegt hier nicht auf dem Verkauf. Ich möchte mit dem Laden einen neuen Bezug zu Kleidung herstellen. Es ist ähnlich, wie mit Nahrung. Da wird jetzt auch bewusster drauf geachtet, wo sie herkommt, wie sie produziert wird. Ein Prozess der Bewusstwerdung kommt in Gang. Neulich hatte ich jemanden im Laden, der ein T-Shirt gemacht hat. Dabei wird deutlich, was das für eine Arbeit ist, vom Schnitt bis zum fertig genähten Produkt. Ich will keine Leute belehren, sondern das ist ein freiwilliges Angebot, wer Lust hat macht halt mit.“ Das Konzept geht bisher auf. Auch Kinder kommen gern zum Basteln vorbei, wie die kleine Pauline, die hier einen Glücksbringer aus Wolle für ihren Bruder bastelt. Ob er den zum Geburtstag oder zu Weihnachten bekommen soll, weiß sie aber noch nicht.

Seit September hat Kristin Häuser ihren „Wollzirkel“ von Mittwoch bis Freitag zwischen 14:00 und 19:00 Uhr geöffnet. An den anderen Tagen näht sie eigene Sachen, die sie über das Internet verkauft. Viele Leute aus der Nachbarschaft sind sehr aufgeschlossen, bringen Wolle und auch Nähmaschinen vorbei oder kommen einfach gern auf ein Gespräch zum Tee in den Laden. „Für die Leute da zu sein, das ist wichtig.“, sagt Kristin Häuser mit dem Hinweis, dass sie hier nicht nur Nähworkshops und für 6 Euro die Stunde einen ruhigen Arbeitsplatz inklusive Material und Maschinen anbietet, sondern auch als sozialer Treffpunkt wahrgenommen werden möchte.

Um das zu verfestigen, gibt es jeden Donnerstagabend um 19:00 Uhr das „Wollzirkel-Abendbrot“. In einer Runde mit bis zu 15 Personen, die aus dem ganzen Leipziger Westen zusammenkommen, wird in geselliger Atmosphäre, gegessen, gemalt, genäht und Geschichten gelauscht. Das Abendbrot dient dem Kennenlernen, soll Austausch und Kontakt beflügeln. Ein Tisch in der Mitte, Decken und Kissen ringsum sowie eine landestypische Spezialität zum Essen auf dem Tisch, denn das Abendbrot ist immer auch eine Reise in andere Länder und Kulturen. „Wenn wir Glück haben, ist jemand aus dem Land unser Gast. Helena Garcia von artescena hat zum Beispiel ihr Land Ecuador vorgestellt. Wir waren aber auch schon in Finnland, Indien, Lettland und Russland. Anfang Dezember geht es nach Island. Der Ort des nächsten Abendbrotes wird immer von den aktuell anwesenden Gästen bestimmt.“, vermittelt Kristin Häuser den Ansatz. Die landestypischen Gerichte kocht sie selbst, aber auch die Gäste können gern Speisen mitbringen. All das funktioniert auf Spendenbasis. Nebenbei ist das „Wollzirkel-Abendbrot“ eine gute Werbung, denn bisher läuft alles eher von Mund zu Mund. Ein paar Plakate hat Kristin Häuser auch schon verteilt, sie bewegt sich zwar viel im Umfeld der anderen Vereine und Initiativen, lässt es mit der Öffentlichkeitsarbeit aber auch eher langsam angehen.

Kaum angekommen in der Georg-Schwarz-Straße, wurde sie jedoch schon in der Stadtteilentwicklung verortet. Als „brinotex“-Inhaberin Brigitte Nothhaft in den Ruhestand ging und aus dem Magistralenrat ausschied, wurde Kristin Häuser angefragt, ob sie dem Gremium beitreten wolle. Sie entschied sich dafür und ist damit auch in einem Netzwerk vertreten, das über die Entwicklung der Straße mitentscheidet. Sie empfindet den Magistralenrat als wichtige Sache und ist froh, damit auch Stadtteilarbeit zu leisten, denn Leutzsch ist ihr in diesem Jahr schon ans Herz gewachsen: „Ich bin total fasziniert von Leutzsch. Ich möchte hier gar nicht mehr wegziehen, und falls es doch sein muss, möchte ich unbedingt im Stadtteil bleiben. Denn es hat sich alles so realisiert, wie ich mir das im Januar vorgestellt habe.“

In den vergangenen Wochen haben sich auch einige Kooperationen ergeben, so war beispielsweise Juan Avellanosa mit seinem Flüchtlings-Projekt zu Gast im „Wollzirkel“. Für die Ausstellung am Ende des Projektes steuerte Kristin Häuser einen selbst gestalteten Traumfänger bei. Auch mit Schulen strebt sie Kooperationen an. Demnächst steht eine Vereinsgründung bevor, damit auch die Hofwerkstatt im Hinterhof des Hauses genutzt werden kann. Für dieses Vorhaben benötigt Kristin Häuser noch ein paar Mitstreiter, aber auch dahingehend wirkt das „Wollzirkel-Abendbrot“ in eine gute Richtung. Leute mit Gemeinsamkeiten finden sich dort zusammen. Für den 18. Dezember ist eine kleine Weihnachtsfeier, ebenfalls in Form eine Abendbrots, geplant. Dazu sind alle „Wollzirkel“-FreundInnen herzlich eingeladen.


Nachricht vom 01.12.2014
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