Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Ina Lackert und das Flüchtlingshaus GSS 31

03.11.2014

Bildinhalt: Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Ina Lackert und das Flüchtlingshaus GSS 31 | Ina Lackert vor der GSS 31 / Foto: Enrico Engelhardt
Ina Lackert vor der GSS 31 / Foto: Enrico Engelhardt
 

Das Haus in der Georg-Schwarz-Straße 31 ist eher unauffällig von außen mit seiner hellgelben Fassade und den Jalousien vor den Schaufenstern. Im Laden links ist eine orthopädische Schuhwerkstatt zu finden. Ansonsten wirkt das Haus eher still. Doch der Schein trügt, denn seit Januar 2014 betreut der Pandechaion – Herberge e. V. darin AsylbewerberInnen. Das Haus ist bis unters Dach bewohnt. Im Flüchtlingshaus befinden sich 8 Wohneinheiten mit Zwei- und Dreiraumwohnungen mit jeweils einer eigenen Küche und eigenem Duschbad. Gemäß dem dezentralen Unterbringungskonzept der Stadt Leipzig, beherbergt das Haus in der Georg-Schwarz-Straße 31, Familien und kleine Wohngemeinschaften. Im Moment leben im Haus 40 Menschen. 24 davon sind Kinder. Zwei Babys sind in der Zeit geboren worden und sind damit seit Juli die jüngsten Bewohner des Hauses. Beruflich ist ein breites Spektrum von den BewohnerInnen abgedeckt. Ehemalige Arbeiter, Angestellte, Akademiker, sie alle wohnen in dem Haus. Betreut werden sie von MitarbeiterInnen des Pandechaion – Herberge e. V., die wochentags von 10:00 bis 17:00 Uhr und samstags von 10:00 bis 15:00 Uhr vor Ort sind.

Eine der Mitarbeiterinnen ist Ina Lackert. Sie war von Anfang an dabei. Ursprünglich aus Braunschweig stammend, hat sie schon immer sozialpädagogisch gearbeitet. In Braunschweig war sie an der Gründung eines Kindergartens beteiligt und wendete sich, als dieser von allein gut lief, einem anderen Projekt zu, welches sie nicht nur aus Braunschweig herausbrachte. Sie lebte in Russland und Südafrika. Zwischen 2000 und 2012 arbeitete sie für eine Organisation in Israel, die Menschen in Not geholfen hat. Dort kam sie mit jüdischen Einwanderern ebenso in Kontakt, wie mit sudanesischen und libanesischen Flüchtlingen. Die Zeit hat sie geprägt.

Deutschland hatte sie bis auf ein paar Besuche in der Heimat ganz hinter sich gelassen. Dann stand die Rückkehr von Israel nach Deutschland bevor, nicht in die alte niedersächsische Heimat sondern in eine neue Stadt. Ihre Wahl fiel auf Leipzig. Gleich der erste Besuch verzauberte sie: „Ich habe mich entschieden nach Leipzig zu ziehen. Die Stadt vibriert für mich. Es herrscht internationales Flair und kulturelle Vielfalt. Ausschlaggebend war für mich auch die Geschichte Leipzigs als Heldenstadt. Hier wurde Geschichte geschrieben, die Wende herbeigeführt. Es ist eine Stadt mit Schicksal. Städte und Länder mit Schicksal interessieren mich. Und hier gibt es gerade so einen innovativen Spirit.“ Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, nahm sich Ina Lackert erst einmal eine Auszeit und schrieb ein Buch über ihre Eindrücke in Israel. In ihrer Stötteritzer Wohnung genoss sie dabei den Blick über die Stadt, hinüber zum Messehochhaus und zum Uniriesen. Nach 12 Jahren im Ausland, war ihr das eigene Land auch irgendwie fremd geworden. „Ich musste Deutschland neu lernen.“, erklärt sie ihre Situation. „Das fing bei alltäglichen Sachen an, wie dem Symbol für Pfandflaschen, unterschiedlichen Stromanbietern und Rauchverbot in Lokalen. Daher kann ich die Situation der Flüchtlinge auch sehr gut nachvollziehen. Das kommt mir bei meiner Arbeit hier zugute.“

Überhaupt war es ein Glück für sie, die Arbeit beim Pandechaion e. V. bekommen zu haben. „Ich war im letzten Herbst gerade auf Jobsuche, genau zu der Zeit als der Verein für die soziale Betreuung der Flüchtlingshäuser, unter anderem auch für das in der Georg-Schwarz-Straße, ausgewählt wurde. Meine Arbeit hat viel mit Schicksal zu tun.“ Das betrifft auch das Schicksal der Menschen, denen Ina Lackert mit ihrer Arbeit ein Stück zu Hause geben möchte. „Diese Menschen mussten viel zurücklassen, sie mussten lernen zu überwinden, haben einen ungeklärten Status und befinden sich somit in einer Art Zwischenland. Mit meiner Arbeit, kann ich den Menschen helfen, sie auf ihrem Weg hier ein Stück begleiten. Insofern ist auch das Wort 'Herberge' im Namen des sozialen Trägers so zu verstehen, dass die Menschen hier einen Ort finden, der ihnen mehr bietet, als nur ein Dach über dem Kopf. Das Wohlsein der Menschen steht bei unserer Arbeit im Mittelpunkt.“ Die Zusammenarbeit in einem „multi-begabten Team“, wo jeder seine individuellen Stärken zur Entfaltung bringen kann, ist ein Vorzug bei der Arbeit.

Von ihrem Umfeld ist Ina Lackert begeistert. Vor ihrer Arbeit war ihr der Stadtteil Lindenau zwar als 'Szeneviertel' ein Begriff, aber sie fragte sich schon, was eine 'Szene' hier definiere. „Als ich hier ankam, hatte ich die Bezeichnung der Georg-Schwarz-Straße als früheren 'Broadway von Leipzig' in meinem Kopf. Irgendjemand hat mir das mal gesagt. Aber das kriege ich nicht ganz zusammen. Ein Broadway sieht für mich anders aus. Aber ich habe gesehen, dass hier sehr viel Potenzial steckt. Die Menschen machen die Straße aus. Die Verantwortlichen und Initiativen vor Ort zeigen so viel Liebe und Herzlichkeit für die Straße, bei ihrem Versuch das Wiedererstehen der Straße voranzubringen.“

Wenn man sie nach drei Worten für die Atmosphäre vor Ort fragt, fällt es ihr leicht zu antworten: „Warmherzigkeit, Offenheit, Freundlichkeit – mir und dem Haus gegenüber. Die Leute trauen sich auch von außen rein. Wir merken das nicht nur bei unseren Begegnungscafés. Auch so kommen Menschen herein, wenn die Tür offen steht. Vielleicht sind es die Möbel, die hier so Café-artig sind. Auf jeden Fall ist der Mut über die Schwelle zu treten da und das ist gut. Es ist ja auch unsere Aufgabe, Verständnis für einander zu wecken. Aber wir müssen auch sagen, die Vorarbeit in der Magistrale war sehr hilfreich. Die schätzen wir sehr wert. Wir sind im Stadtteil herzlich willkommen geheißen worden und das hält bis heute an.“ Mit den Läden, Vereinen und Initiativen vor Ort, haben sich innerhalb des ersten Jahres auch schon verschiedene Kooperationen gebildet. Das Flüchtlingshaus GSS 31 arbeitet mit der Autodidaktischen Initiative zusammen, nutzt die Fahrradwerkstatt in der Calvisiusstraße und bekommt von der Kunterbunten 19 ab und zu Biogemüse ab. „Das ist dann auch immer etwas Besonderes, weil unsere BewohnerInnen auch nicht alle Gemüsesorten kennen und dann googeln wir zum Beispiel gemeinsam danach, was ein Chicorée ist.“ Die Materialsammlung „krimZkrams“ vom kunZstoffe e. V. ist ebenfalls zu einem Anlaufpunkt für eine Bewohnerin des Flüchtlingshauses geworden. Als zertifizierte Schneiderin freut sie sich, dass sie die dort angebotene Nähwerkstatt besuchen kann.

Auch sportlich sind die Flüchtlinge gut untergekommen. Vor allem der SV Lindenau ist bei der Mitarbeit sehr aktiv und hat sowohl Väter als auch Kinder im Verein aufgenommen. Die Unterbringung in Schulen und Kindergärten funktioniert auch. Zwei Kinder sind an der 172. Grundschule in Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen untergekommen, fünf Kinder sind in KITA's untergebracht, andere stehen schon auf der Warteliste. Ina Lackert ist dankbar auch für die Unterstützung, die sie von allen Seiten erfährt. „ Im Elternrat der 172. Grundschule arbeitet man an mehreren neuen Ideen für die Flüchtlingskinder. Da ist einiges in der Planung. Wir stehen außerdem in gutem Kontakt mit der Nathanaelgemeinde, organisieren gemeinsam gerade einen Lampionumzug.“

Organisieren und Koordinieren sind die beiden Hauptaufgaben von Ina Lackert. Wenn sie ihren Arbeitstag beginnt, sind kurz nach 10:00 Uhr schon die ersten BewohnerInnen in ihrem Büro und bitten um Hilfe beim Ausfüllen von Formularen. Ina Lackert erklärt: „Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe an, unterstützen die Menschen bei ihren Anliegen, aber lassen sie die Anträge soweit es geht selbst ausfüllen. Zu meinem Aufgabengebiet gehört außerdem die Organisation von Sprachmittlern, ab und zu das Begleiten von BewohnerInnen zu Terminen. Wegbeschreibungen gebe ich oft. Aushänge müssen erstellt werden, in sechs Sprachen. Das sind momentan Albanisch, Arabisch, Georgisch, Englisch, Französisch und Russisch. Dann organisiere ich KITA- und Hortplätze. Zuarbeiten und Spenden von Menschen wollen auch koordiniert werden, dazwischen klingelt dann das Telefon und ein bisschen Kinderbetreuung läuft auch nebenher. Außerdem erstelle ich Statistiken und Berichte für die offiziellen Stellen und ab und an“, fügt sie schmunzelnd hinzu, „gebe ich auch Interviews.“

Ein weiteres Projekt, welches gemeinsam mit den BewohnerInnen angegangen worden ist, ist der Hinterhof des Hauses, welcher zu einem Garten umgestaltet werden soll. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen HelferInnen. Im November sollen noch Sträucher gepflanzt werden. Optimistisch sagt Ina Lackert dazu: „Die müssen sowieso den Winter überstehen. Alles andere verlegen wir dann ins Frühjahr. Wir haben Hochbeete und dort soll im nächsten Jahr Kleingemüse angebaut werden.“ Auch soll der Hof nicht komplett in einen Nutzgarten umgewandelt werden, sondern wie die Ladenebene des Hauses ebenfalls ein Raum zu Begegnung werden. „Wenn alles gut läuft, können wir unser Begegnungscafé dann bei gutem Wetter im Freien machen.“, hofft die Betreuerin.

Das „Begegnungscafé“ ist ein Konzept, welches sowohl den BewohnerInnen des Hauses, als auch den AnwohnerInnen ermöglichen soll, einander kennenzulernen und mögliche Hemmschwellen abzubauen. Das Konzept ging für Ina Lackert von Anfang an gut auf: „Meine Kollegin und ich, wir sind begeistert, wie gut das angenommen wurde. Auch dass Leute aus dem Quartier da waren und überhaupt über den Zuspruch der Leute. Eigentlich geht so ein Begegnungscafé immer zwei Stunden, von 15:00 bis 17:00 Uhr, aber beim letzten Mal ging es sogar noch eine Stunde länger. Die Leute haben sich sehr wohl gefühlt. Unsere Bewohnerinnen haben Kuchen gebacken. Beim nächsten Mal, wollen wir auch anfangen kleine Kultureinlagen mit reinzubringen. Mal sehen, wie das wird.“ Die BewohnerInnen des Hauses sind auch sehr aktiv dabei, die deutsche Sprache zu erlernen. Jeden Montag findet ein Deutschkurs statt. Zusätzlich sind in Kooperation mit der Universität Leipzig, sogenannte „Sprachtandems“ entstanden, bei denen StudentInnen sich intensiv um einzelne BewohnerInnen kümmern.

Das nächste „Begegnungscafé“ findet am Freitag, den 28. 11. 2014, von 15:00 bis 17:00 Uhr in der Georg-Schwarz-Straße 31 statt. Alle Menschen sind herzlich dazu eingeladen, die BewohnerInnen des Flüchtlingshauses sowie Ina Lackert und ihre KollegInnen kennenzulernen.


Nachricht vom 03.11.2014
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