Der neue Blog von Helena Mohr: “Gegen die Wegwerfgesellschaft”

11.06.2013

Bildinhalt: Der neue Blog von Helena Mohr: “Gegen die Wegwerfgesellschaft” | Kleidertauschabend im krimZkrams (GSS 11) / Foto: Karen Lemme
Kleidertauschabend im krimZkrams (GSS 11) / Foto: Karen Lemme
 

Das Prinzip des Kleidertauschens ist einfach: man bringt mit, was einem nicht mehr gefällt und nimmt mit, was einem gefällt… So weit, so gut. In Vorbereitung auf den Tauschabend am 5. Juni, stehe ich vor meinem Kleiderschrank. In Leipzig ist es grau, seit Tagen regnet es. Wie, als sei ich in einem Laden, stöbere ich ein wenig in meinen Klamotten. „Nein, nein, nein, uhh, hässlich… Was, das habe ich noch?“ Mir fällt ein Kleid in die Hände, an dem noch das Preisetikett dran hängt. Ich erinnere mich, wann ich es gekauft habe: vor ca. vier Jahren. Und bisher habe ich es noch kein einziges Mal angehabt. Weggeben konnte ich es bisher aber auch nicht. „Vielleicht ziehst du es ja diesen Sommer an!“, war meine Standard-Ausrede. Dass ich damit allerdings aussehe, wie ein explodiertes Knall-Bonbon, hab ich bisher einfach ignoriert. Heute ist der Tag jedoch gekommen: es muss WEG! Nach und nach verschwinden aus meinem Kleiderschrank all die bunten Teile. Blusen, T-Shirts, Tops. Zurück bleibt ein Mix aus Grau und Schwarz. Mit ca. 15 verstoßenen Kleidungsstücken mache ich mich wenige Tage später auf in Richtung Georg-Schwarz-Straße. Die Sonne strahlt vom Himmel. Ein bisschen sieht es aus, als wollte ich zum Waschsalon.

Einige Minuten vor der ausgemachten Zeit bin ich bei krimZkrams, wo das Tauschspektakel stattfindet, angekommen. Vor der Hausnummer 10 bleibe ich stehen. Mit genügend Sicherheitsabstand beobachte ich die vielen Mädels, die draußen sitzen, rauchen und sich unterhalten. Es ist schon ganz gut was los. Ich bin etwas unentschlossen. Ein bisschen fühle ich mich wie ein kleines Mädchen, das sich nicht traut, in ihre Schulklasse zu gehen. Sieht sicher komisch aus, wie ich hier rumstehe mit meinem Sack voller Klamotten. Ich gebe mir einen Ruck und gehe rüber. Nach und nach stehen alle auf. Die Kleiderstangen zum Aufhängen sind nun nämlich da, der Tauschspaß kann losgehen. Brav hängt jeder die mitgebrachten Sachen auf die dafür vorgesehenen Stangen. Bereits beim Auspacken wirft man verstohlene Blicke auf die Sachen der anderen Tauscher. Die Dame neben mir interessiert sich besonders für mein rosé-farbenes ¾-Arm-Shirt. So langsam wird es eng an der vordersten Kleiderfront. Ein mutiger Herr ist auch unter den Gästen. Eher als Begleitung, wie es scheint. „Na ja, ich kann hier wohl nix tauschen!“, stellt er ernüchtert fest. Geschlagene zwei Stunden hält er aus, nickt, schüttelt auch ab und zu mal den Kopf, setzt sich, geht nach draußen, kommt wieder herein. Und das alles mit einer Ruhe, die der eines Buddhas gleicht.

Wenig später kommt Karen herein und bringt noch mehr zum Tauschen mit. „Die Sachen, die am meisten verknittert sind, die sind von mir“, stelle ich etwas peinlich berührt fest. Karen entdeckt gleich zu Anfang eine beige Leinenhose. „Leinen knittert edel“, ermuntert sie der Herr, der neben uns steht. Karen ist etwas unsicher. „Und da brauche ich jetzt kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich das einfach mitnehme?“ Nein, genau das ist nämlich das Prinzip vom Kleidertausch. Beim Stöbern entdecken wir so einige Sachen, die wohl einfach raus mussten. Ein karierter Schulmädchen-Rock, zum Beispiel. „So einen trug Britney Spears bei ‚Oops, I did it again‘“, stelle ich fest. Ein bunt gestreiftes Kleid, verwaschene T-Shirts mit Aufdruck, Kord-Hosen und Sachen, die ich früher mal hatte, jetzt aber immer noch nicht wieder haben will. Die Mädels wuseln durcheinander, probieren drüber, drunter, spiegeln sich in der Eingangstür und tauschen aus. Besonders Spaß scheinen auch die beiden Wühltische zu machen. Hier kann man ungeniert nach Schätzen graben. Annika und Sarah, die Veranstalterinnen, zaubern nun auch noch Sachen aus einer Kiste, die beim letzten Kleidertausch übrig geblieben sind.

Am oberen Wühltisch entdecken Karen und ich einen schwarzen Pluderrock, der mir sehr bekannt vorkommt. „Ha, den hatte ich auch mal!“, entfährt es mir. Karen scheint Gefallen an ihm gefunden zu haben. „Achtung, der macht einen dicken Hintern!“, warne ich. Schnell legt sie ihn zurück. Tauschen kann man prinzipiell alle Dinge, die sonst noch so im krimZkrams rumstehen. Koffer, Stoffe, Garne, etc. Gegen Spende kann man also mitnehmen, was einem gefällt und dafür bezahlen, was es einem Wert ist.

Der zweite Wühltisch ist mittlerweile Getränke-gegen-Spende-Tisch geworden. Noch ca. einer halben Stunde betrachte ich mir nochmal die Klamottensammlung. Von meinen mitgebrachten Sachen ist kaum noch etwas da. Hm, an den anderen gefallen mir meine Sachen besser, irgendwie… Ständig schwappen neue Leute herein, die fröhlich ihre Sachen an der Stange aufhängen und hinter dem geblümten Vorhang kichernd anprobieren. Ich habe auf der Treppe Platz genommen, während Karen herumpest und Fotos macht. Manche, die hereinkommen, schauen sich ratlos unter all den wühlenden Frauen um. Mittlerweile sind noch ein paar Männer dazu gekommen. Diese halten sich jedoch vornehmlich draußen auf und vertreiben sich die Zeit mit Bier und Co. „Wie macht man das jetzt?“, fragt ein Mädel mit weißer Stofftasche. „Na ja, du kannst dich jetzt einfach umschauen und dann anprobieren und dann nehmen, was dir gefällt!“, kläre ich sie auf.

Als der erste Trubel abgeebbt ist, bitte ich Annika, eine der Veranstalterinnen für ein Gespräch auf die Couch, die auf einem leicht erhöhten Podest in der Ecke steht. Von hier aus hat man den besten Blick. „Viel los, oder?“, frage ich sie. „Ja, es war aber schon mal voller“, erzählt sie mir. „Ich denke, es kommen noch ein paar Leute.“ Die Tauschabende finden immer im krimZkrams in der Georg-Schwarz-Straße 11 statt. „Wir haben einen Raum gesucht und waren dann erst bei Cafés oder irgendwelchen Hallen, dann haben wir aber das hier gefunden.“ Kleidertauschen passt perfekt in das krimZkrams-Konzept: Dinge, die die Leute nicht mehr brauchen an andere, die sie wieder brauchen können gegen Spende weitergeben. „Das Konzept haben wir uns zwar irgendwo abgeschaut, ich meine, Kleidertausch ist jetzt nicht allzu innovativ, das gibt’s ja schon. Aber das gab es eben noch nicht in Leipzig und wir haben gedacht, dass es hier zu der Stadt eben ganz gut passen würde“, erzählt sie weiter. Durchs Internet haben sie dann letztendlich diesen Laden hier entdeckt. Was die Besucherzahl angeht, ist Annika optimistisch. „Ich denke, das kommt jetzt noch. Das ist immer so schubweise. Zwischen sieben und acht waren es ein paar und dann meistens nochmal um neun rum.“

Das Spenden-Prinzip scheint zu funktionieren. Von dem Geld möchten Annika und Sarah gerne eigene Kleiderstangen anschaffen. „Bisher werden die nämlich immer wieder von Sarahs Mitbewohner aufgebaut. Das sind eigentlich Stative…“, erzählt Annika. „Was kommen hier für Leute her?“, frage ich. Sie überlegt kurz. „Hm, ja, das sind schon Leute aus Leipzig, aber ich weiß nicht, ob nur aus Lindenau. Ich denke schon, dass die auch von woanders herkommen, wenn sie das hören und gut finden.“

Mit einem Ohr konnte ich vorhin mithören, dass die Mädels die Klamotten, die übrig bleiben, für Flutopfer spenden wollen. „Welche Stadt?“, frage ich übereifrig. „Na ja, es ist schwierig zu sagen: wir geben das jetzt Grimma oder wir geben das jetzt Eilenburg. Mal sehen, wo dann eben was benötigt wird“, betont Annika. Auch nach dem letzten Kleidertausch haben die beiden schon gespendet. „Wir haben teilweise nämlich echt säckeweise Kleider übrig.“ Generell bleibt immer einiges übrig, wenn der Tauschabend vorbei ist. „Wir sortieren das dann immer und die Dinge, die wir schön finden, die hängen wir dann beim nächsten Mal auch wieder hin!“, sagt sie. Augenzwinkernd fügt sie noch hinzu: „Manchmal sind dann aber auch schon Sachen dabei, die nicht unbedingt nochmal jemand haben will.“

Jeden ersten Mittwoch im Monat veranstaltet Annika zusammen mit Sarah den Kleidertausch hier in der Georg-Schwarz-Straße. „Und dann haben wir aber auch noch Helfer-Freunde, die auch grad hier irgendwo sind.“

Ich frage nach drei Worten für die Georg-Schwarz-Straße. Annika überlegt kurz. „Hm, ja, Georg-Schwarz-Straße… Irgendwie ist es auch kunterbunt. Irgendwie ist es so ein durchgemischter, toleranter, ja, Haufen kann man fast schon sagen.“ Wir müssen lachen. „Das ist aber liebevoll gemeint. Ja, kunterbunt finde ich es hier!“, sagt sie freudestrahlend. „Der Laden ist auch so, dass man hier reinkommen kann und einem wird gleich geholfen. Man kann seine Sachen hier abgeben, aber man kann auch was mitnehmen, wenn man was braucht.“ Es ist also immer wieder dieses Miteinander, diese „Nachbarschaftshilfe“ wie Annika sie nennt, was die Georg-Schwarz-Straßler und ihre Freunde an unserer Lieblingsstraße so schätzen. Annika selbst wohnt erst seit neun Monaten hier in Leipzig. Doch bereits jetzt ist sie großer Leipzig-Fan.

„Und wieso glaubst du, tauschen die Leute ihre Klamotten?“, will ich wissen. „Hm, es gibt da ja diese Shareconomy . Ich denke, dass aufgrund von Ressourcenknappheit einfach wieder auf Tauschen und Wiederverwerten Wert gelegt wird. Ich weiß nicht, ob das jetzt gerade einfach so der Zeitgeist und ein Trend ist oder ob das vielleicht eine allgemeine Richtung ist, in die es geht. Es gibt einfach immer mehr, mehr aber im Grunde haben wir ja schon alles.“ Deswegen wollten die Mädels den Leipzigern eine Plattform bieten, auf der man Dinge tauschen kann. „Es muss ja nicht immer was Neues sein, aber mir geht’s zum Beispiel so, dass wenn ich was von hier mitnehme, dann fühlt es sich an, als sei es neu“, sagt Annika. „Oft hat man sich ja einfach nur sattgesehen an seinen eigenen Klamotten, die sind ja aber noch gut. Und wenn andere die dann noch gerne tragen, dann ist das ja so eine Win-Win-Situation.“ Ihr persönliches Lieblingskleidungsstück hat Annika beim Kleidertausch jedoch noch nicht ergattert. „Ich habe aber auch noch nicht wirklich intensiv gesucht“, gibt sie zu.

Am oberen Wühltisch komme ich mit Hanna und Selma ins Gespräch. Die beide sind zum ersten Mal hier. Von einer Freundin wurden sie auf Facebook dazu eingeladen. „Aber im Endeffekt sind wir hergekommen, weil der Kleiderschrank platzt“, grinst Hanna. „Das gute am Kleidertausch ist ja“, erzählt sie weiter, „dass man an sich ja noch n Haufen Klamotten hat, die noch gut aussehen und funktionieren, aber die man eben einfach satt hat! Und dann tauscht man es einfach aus gegen Klamotten, die zwar auch schon alt sind…“ – sie unterbricht den Satz –„… und das ist das Beste an alten Klamotten, weil die schon eingetragen sind. Und wenn die passen, dann passen sie. Es sei denn, man wäscht sie zu heiß!“ Hanna zeigt auf einen etwas kurz geratenen Pullover, den Selma gerade anprobiert hat. Auch Selma ist begeistert vom Tauschprinzip. Normal stöbert sie gerne in Second-Hand-Läden. „Und dann fällt gleich schon die Frage weg: wo will ich überall NICHT Shoppen gehen in der Stadt“, sagt Selma. „So viele Möglichkeiten, gebrauchte Klamotten zu bekommen, gibt’s dann ja auch gar nicht“, fügt sie hinzu. Beide Sachen, die Hanna über ihre Schulter geworfen hat, sind von mir. Sie lacht. An Second-Hand-Klamotten mag sie, dass man sie kauft und sie dann einfach passen. „Neue Sachen kaufst du, dann sind sie einmal gewaschen und dann sind sie plötzlich zu kurz oder ausgeleiert!“, findet Hanna.

Ich frage die beiden, ob sie in der Georg-Schwarz-Straße wohnen. Selma kommt aus einer „ganz anderen Ecke“ von Leipzig, Hanna lebt hier in der näheren Umgebung. „Seid ihr hier öfter mal unterwegs?“, will ich wissen. Hanna schüttelt den Kopf. „Leider gar nicht!“ Ich frage wieder nach drei Worten für die Georg-Schwarz-Straße. „Ich würde jetzt spontan Straßenfest sagen“, antwortet Selma. „Aber ich habe noch nicht viel von der Georg-Schwarz-Straße mitgenommen, weil ich irgendwie noch nie weiter als bis hier zu Ecke oder zur Tankstelle gekommen bin.“ Hanna hat gehört, „dass es hier schon voll nette Kneipen geben soll“. Dass es hier „ein bisschen alternativ“ ist und, „einen ganz coolen Biergarten“ geben soll, fällt den beiden noch ein. Ab und zu fahren die Mädels hier schon mal mit dem Rad vorbei. „KunZstoffe habe ich da auch schon gesehen. Oder kleine Läden und Galerien“, sagt Selma zum Schluss.

Nun setze ich mich auf die Treppenstufen und schaue mich um. Zwei kleine Jungs kommen durch die Türe. Jeder von ihnen hat zwei Hosen zum Tauschen dabei. Sie sehen mich da sitzen, halten mir die Hosen hin und der eine sagt schüchtern: „Hier, zwei Hosen.“ Auf Sarahs Anweisung hin, legen sie ihre Tausch-Klamotten auf den Wühltisch. Kurze Zeit später sind sie jedoch wieder verschwunden.

Die Gelegenheit ist günstig, am Getränke-Tisch ist gerade nicht viel los. Karen und ich plaudern mit Sarah, der anderen Veranstalterin. Nun frage ich auch sie, weshalb sie glaubt, dass das mit dem Klamottentausch so gut funktioniert. „Ich glaube, dass das bestimmt auch was mit Individualität zu tun hat. Man will nicht mehr aussehen, wie jeder andere. Gerade auch in einer Stadt wie Leipzig. Hier in Leipzig gibt es eben auch so eine kreative Szene, die es uns vorlebt. Uns, den ganz normalen Leuten,“ sagt sie. Zudem denkt sie, dass die Leute Dinge auch einfach nicht mehr wegwerfen wollen. „Außerdem glaube ich, dass sie sich die Leute sich Gedanken machen, was sie konsumieren, wie sie konsumieren und auch, wie es produziert wird.“ Sarah selbst kommt nicht aus Leipzig. Dass Kleidertauschen funktioniert, ist ihrer Meinung nach aber nicht ein typisch Leipziger Phänomen. „Ich glaube, in allen Großstädten gibt es das schon. Ich denke, es gibt in jeder Stadt Klientel, das man damit erreicht. In der einen Stadt mehr, in der anderen eben weniger.“ Sarah selbst hat heute viele Taschen zum Tauschen mitgebracht. „Es ist eine sehr große Freude, zu sehen, dass andere sich an den Sachen, die man nicht mehr braucht, tot freuen!“, sagt sie zufrieden. „Bei mir würde das sonst nur zwei Jahre im Kleiderschrank hängen!“ Sarah bestätigt, dass Jungs eher Zaungäste bleiben. Den Kleidertausch über Facebook publik zu machen, funktioniert ganz gut. So lädt der eine den anderen ein.

Ich frage, ob sie schon mal negative Erfahrungen mit ihrem Projekt gemacht haben. „Dass Leute zum Beispiel nur Altkleider-Klamotten gebracht haben?“, füge ich hinzu. Sarah überlegt kurz. „Nee, das nicht. Aber eine ganz witzige Erfahrung war mit einem Typen, der bei uns angerufen hat und gesagt hat, dass er so froh ist, dass wir das machen. Die Caritas, die er vorher angerufen hat, ist nämlich nicht bei ihm zum Klamottenabholen vorbeigekommen. Und dann kam er hier mit zwei Umzugskartons an und hing seine ganzen Basketball-T-Shirts hier auf. Na ja, die sind wir aber auch noch irgendwie losgeworden.“ Prügeleien um Klamotten gab es bisher noch keine. „Aber ich stehe auch meistens hier am Tisch oder sitze draußen. Das sollen die dann unter sich ausmachen“, sagt sie lachend. Ich frage sie nach drei Worten für die Georg-Schwarz-Straße. „Die Georg-Schwarz-Straße steht, stellvertretend auch für das Viertel mit den angrenzenden Straßen, für eine Aufbruchsstimmunug. Außerdem ist hier noch viel Platz, auch für Konzepte, die neu sind. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir sofort aufgenommen wurden, als wir die Anfrage gestellt haben.“ Sarah fällt auch die Entwicklung der Straße auf. „Ich bin immer total gespannt, wenn ich dann hier bin und immer wieder was Neues sehe. Hier passiert gerade total viel. Aber nicht nur in eine Richtung. Ich finde, dass hier auch ganz viele unterschiedliche Leute sind. Es ist schön durchmischt.“ Sarah ist großer Georg-Schwarz-Straßen-Fan und würde am liebsten auch hier her ziehen. „Ich glaube, dass die Georg-Schwarz-Straße den Anschluss an Lindenau und Plagwitz findet. Die Georg-Schwarz-Straße hat das beste Potential von allen Straßen hier.“

Wir überreden Sarah noch zu einem Foto mit Annika und einer anderen Sarah. „Aber, ich mach keine komischen Posen!“, ruft sie. Währenddessen sind auch zwei junge Mädchen, ich denke, so 12 oder 13, hereingekommen. Brav hängen sie die Tausch-Klamotten auf und probieren begeistert hinter dem Blümchen-Vorhang an.

Am Getränke-Tisch steht nun die andere Sarah, mit der ich ins Gespräch komme. Sarah tauscht hier regelmäßig Klamotten. „Warum?“, will ich wissen. „Weil ich viele Klamotten zu Hause habe, die zwar noch schön sind, mir aber nicht mehr gefallen. Und andere Leute freuen sich noch drüber.“ Ein Lieblingsteil hat sie hier bisher noch nicht ergattert. „Aber heute habe ich ein sehr schönes Kleid gefunden. Das ist leider ein bisschen groß, das muss ich noch umnähen, aber ich glaube, das könnte ein Lieblingsstück werden.“ Sarah kommt ebenfalls nicht aus der Georg-Schwarz-Straße. Als ich sie nach drei Worten für die Georg-Schwarz-Straße frage, sagt sie: „Es entwickelt sich sehr viel, es hat sehr viel Potential. Hier tut sich gerade einfach was.“ Da kann ich nur zustimmen. Sarah hilft hier immer ein bisschen, weil sie mit der Veranstalterin Sarah befreundet ist. Bisher beschränkt sich das Tauschen bei Sarah nur auf Klamotten, sie hofft aber, dass diese nachhaltige Denkweise nicht nur ein Trend ist, sondern eine dauerhafte Entwicklung.

Wir brüten gerade zu dritt über einem Spenden-Wechselgeld-Problem, da kommt Sarah von draußen herein. „Ich hab drei Wörter für die Georg-Schwarz-Straße!“ Ich schaue sie erwartungsvoll an. „Georg, Schwarz, Straße!“, ruft sie lachend. Ich muss sie enttäuschen. Es sind leider bereits vor ihr Leute auf diese überaus einfallsreiche Idee gekommen. Ein junger Mann will mit einem großen Schein ein Bier bezahlen. „Könnt ihr das wechseln?“, fragt er. „Nee“, sagt Sarah, „aber wenn du zehn nimmst, dann sind die günstiger!“ Er ist leicht irritiert, bleibt dann aber doch nur bei einem Bier.

Ich setze mich wieder auf das bequeme Sofa in der Ecke. Eine junge Frau fängt an, im Stoffregal neben mir zu stöbern. Sie holt ein winziges weißes Etwas heraus. Wir sind uns nicht sicher, was es überhaupt darstellen soll. „Hm, eine Tischdecke vielleicht?“, rätseln wir. Der Stoff hat vorne aber, wie bei einem Känguru, eine kleine Tasche, in der man Dinge aufbewahren kann. Und zwei Ösen zum Aufhängen gibt es auch. Anja interessiert sich nicht nur für die Stoffe, sondern hat auch keine Angst vor meinem Diktator (dem Diktiergerät) und setzt sich zu mir auf die Couch. Zufälligerweise hat Anja heute in Sarahs WG ein Zimmer angeschaut. Und die hat sie dann gleich zum Kleidertauschen eingeladen. Seit vier Jahren wohnt Anja jetzt in Leipzig, davor hat sie lange in Berlin gelebt. Leipzig mag sie lieber als die Hauptstadt. „Berlin, das ist mir zu voll und zu laut und zu viel, einfach!“ Ich möchte von ihr wissen, weshalb das Kleidertauschprinzip wohl so gut angenommen wird. „Na ja, ich glaube, das Bewusstsein, wie Dinge eben auch hergestellt werden, das wächst. Und dass die Leute, die das herstellen eben nicht unter den besten Bedingungen arbeiten. Das ist ein Trend gegen die Wegwerfgesellschaft!“ Ich erzähle ihr, wie überrascht ich davon war, was alles in meinem Kleiderschrank hängt, teilweise noch ungetragen. „Ja, und man denkt dann auch immer, dass man das irgendwann schon wieder mal anziehen wird und dass das schon irgendwann wieder passt“, sagt sie und lacht. Ihre drei Worte für ganz Leipzig sind: „Grün, offen und freundlich“.

Neben uns wühlt Sarah (die zweite Sarah, die ich interviewt habe), in einer Kiste mit altem Krimskrams. Sie zaubert eine Art Leder-Pullunder hervor du kann es nicht lassen, sich in diesen hinein zu zwängen. „Was zieht man da nur drunter, damit das nicht so klebt?“, fragt Anja. „Nix!“, ruft Sarah. Es würde auch nichts mehr drunter passen, stellen wir fest. Rein ging leichter als raus. Beim Ausziehen braucht Sarah nun die Hilfe einer Freundin. Sarah hat das Tauschfieber gepackt und wenige Minuten später kommt sie mit einer Tunika zurück und stellt sich vor den Spiegel. Anja und ich haben tatsächlich den besten Platz. „Hm, man könnte es auch umnähen“, raunt Sarah. „Ja, man könnte einfach alles umnähen!“, sagt Anja augenzwinkernd. „Und schwarz färben!“, rufe ich. Sarah dreht sich um und grinst schelmisch.

Mit einem seligen Gesichtsausdruck kommt ein Mädchen aus der Umkleide. Ihr Tauschbeutel ist wieder gut gefüllt. Sie entdeckt den Wühltisch und ruft entzückt: „Ach, da sind ja noch mehr Sachen!“ Wenig später kommt Sarah mit einem neuen Fundstück zurück. Diesmal ist es ein Kinderkleid. „Kann man ja auch einen Rock draus machen!“, sage ich leise zu Anja. „Ich höre alles!“, ruft Sarah über ihre Schulter während sie vor dem Spiegel steht, das Kleid bis zur Hüfte hochgezogen.

Ein anderes Mädchen probiert einen schwarzen Mantel. Zu eng. „Was für Leute geben denn hier ihre Klamotten ab?“, wettert die sehr schlanke junge Dame. Ihre Freundin versucht währenddessen, sie von dem Mantel zu überzeugen. Dieser Mantel scheint nicht genau zu wissen, was er sein will. So richtig warm hält er wohl nicht, für den Übergang ist er aber fast schon zu dick. „Na ja, man kann für alles ein Argument finden“, scherzt Anja. Inzwischen ist das krimZkrams fast leer. Nicht leer getauscht, es sind nur fast keine Tauscher mehr da. Die meisten Leute sitzen draußen auf der Bank, dem Bürgersteig oder stehen in kleinen Gruppen zusammen. Sie unterhalten sich, trinken Bier, lachen, rauchen.

Wie von Annika und Sarah prophezeit, ist die Kleiderstange gegen 21 Uhr jedoch wieder gut gefüllt. Mittlerweile hat Annika wieder den Posten am Getränke-Tisch übernommen. Anja und ich sitzen immer noch zufrieden in unserer Ecke. Wir entdecken ein rotes, sehr altes Telefon. Noch mit Wählscheibe. „Ist das auch zu haben oder ist das das Haus-Telefon?“, frage ich Annika. Sie hebt den Hörer ab. „Nee, da tutet nix!“, antwortet sie. Von Weitem haben wir noch einen rosa Tüll-Rock entdeckt, den ich mir unbedingt mal aus der Nähe anschauen muss. Sarah zwängt sich gerade in eine blaue Regenschutzhose. „Ach, auch Kindergröße!“, seufzt sie. So viele Kinder waren heute doch eigentlich gar nicht hier…

Als ich mich gegen halb zehn auf den Heimweg mache, ist das krimZkrams fast leer. Das Haupt-Tauschgeschäft scheint zu Ende zu sein, die Leute erwerben aber weiterhin fleißig Getränke gegen Spende. Ich schlängle mich durch die Besucher, die draußen auf dem Gehweg stehen und sitzen. Zu Hause wundere ich mich über all die weißen Hundehaare an meiner schwarzen Jacke und der Leggings. Mein Hund ist seit langem ja nur imaginär und haart deswegen eigentlich nicht. Ich erinnere mich, am Georg-Schwarz-Straßen-Fest einen Hund im kimZkrams gesehen zu haben. Der war aber braun. Na ja, vielleicht saß auch eine weiße Katze auf dem Sofa. Egal, welches Tier, es scheint jedenfalls auch sein Lieblingsplatz gewesen zu sein.

Abschließend kann ich nur sagen: ein Besuch beim Kleidertausch in der Georg-Schwarz-Straße lohnt sich. Mag sein, dass man nicht sein Traum-Kleidungsstück findet, dann vielleicht aber neue Freunde. Mag sein, dass es alles wild durcheinander geht, das passt aber zur Georg-Schwarz-Straße. Mag sein, dass für einige hier Tauschen Nebensache ist, wo man hier doch so schnell Kontakte knüpft, gute Gespräche führt und für wenig Geld was Nettes zu Trinken bekommt. Was ich an diesem Abend wieder festgestellt habe: die Welt ist ein Dorf und sie war, wieder mal, zu Gast in der Georg-Schwarz-Straße.

Fotos: Karen Lemme/ Text: Helena Mohr

Wer den Blog von Helena Mohr auch mit den dazugehörigen Fotos von Karen Lemme lesen möchte, kann das hier gern tun.


Nachricht vom 11.06.2013
Autor: