Der Charme des Verfallenen - Kreativer Gedankenaustausch im Fundbüro
22.05.2012
Lindenau
Verfallene Leipziger Bauten waren Anlass für einen Abend im Fundbüro in der Georg-Schwarz-Straße. Die unterschiedlichsten Akteure zeigten, was sie bei diesem Thema bewegt: "Der Charme des Verfallenen" inspirierte Fotograf Tristan Schröder zu besonderen Aufnahmen. "Wenn man in so 'ne leere Riesenhalle kommt und dann scheint das Licht rein, das ist schon faszinierend." Manchmal kann man auch Unerwartetes entdecken: Einen Saporoshez in einer Kasernenhalle oder einen Karlex-Express in einem Lokschuppen. "Komplett erhalten. Vor sechs Wochen bin ich noch mal hin, da war er weg." Noch vorhanden ist die einstige Druckerei. Das Foto zeigt eine geschwungene Treppe im Eingangsbereich und herunter hängende Tapetenbahnen. Tristan Schröder registriert mit Beobachtungsgabe und Sensibilität den Wandel.
Poesie lebt auch in den Geschichten von Volly Tanner auf. Seit den neunziger Jahren lebt der Autor in Lindenau und dokumentiert das damalige und heutige Lebensgefühl. Er thematisierte Gewalt zwischen Jugendgruppen: "Die Leute hatten nichts zu verlieren" oder schrieb "Hier möchte zwar kein Hund begraben sein, aber die Kinder sind so wunderbar laut". Begraben sein möchte man in Lindenau im Moment nicht - aber leben: "Hier passiert was!"
Von dieser Aufbruchstimmung ist auch Falk Röhner angezogen. Der Mann aus dem einstigen Karl-Marx-Stadt, der schon in Afrika und Nordamerika lebte, zurückkam wegen der "Sehnsucht nach der alten Kultur und den alten Häusern", spürte in Lindenau und Plagwitz amerikanischen Pioniergeist auf. "Noch nie hatte ich eine so starke, ehrliche Solidarität erlebt wie bei diesen Menschen im Norden Amerikas. Da gab's keine Vorschriften, keine Obrigkeitshörigkeit. Es zählt nur die Freude an der Aufgabe. Mit dieser Erfahrung kam ich zurück in den Osten - und entdeckte Ähnliches." Röhner entwickelt das "Westwerk" in der Karl-Heine-Straße zum Ort für Kreative. Nun gibt er den Gebäuden der Alten Handelsschule in der Gießerstraße eine Zukunft.
Text: Ingrid Hildebrandt
Leipziger Volkszeitung vom 18. Mai 2012, Beilage „Stadtleben Süd“