Vorreiter im Viertel

19.01.2012

Bildinhalt: Vorreiter im Viertel  | Foto: André Kempner
Foto: André Kempner
 

Im Leipziger Westen macht das Kaffee Schwarz nicht nur als Kneipe, sondern auch als kulturelles Kleinod von sich reden

Raymond Romanos hat sein Café in der Georg-Schwarz-Straße mit dem eingerichtet, was er in verlassenen Häusern finden konnte.


Während sich Leipzigs Szene-Schauplätze allmählich aus der Südvorstadt nach Plagwitz verlagern, wirkt Lindenau dagegen noch wenig einladend. Eine Ausnahme-Adresse ist die Hausnummer 56 in der Georg-Schwarz-Straße. Hier, inmitten von baufälligen Häuserzeilen, findet sich mit dem Kaffee Schwarz seit neun Monaten ein Kleinod - angefangen beim Inhaber, über das Mobiliar bis hin zum Programm.
Raymond Romanos hat es 1996 aus West Hartford im US-Bundesstaat Connecticut nach Leipzig verschlagen. Der Liebe wegen, sagt der 41-Jährige. Neben der Reparatur von Fahrrädern begann Romanos bereits damals mit etwas, das er als "House-Diving" (wörtlich: Haustauchen) bezeichnet und wovon das Kaffee Schwarz heute profitiert. Die Idee: Verlassene Häuser nach zurückgelassenen Dingen zu durchstöbern, die sich weiterverwenden lassen. "Das hat etwas von Höhlenforschung", meint Romanos, während er durch die Räume seines Cafés führt. "Der Großteil des Mobiliars - bis auf die Glühbirnen - wurde ertaucht", erklärt der findige Geschäftsführer. So etwa der Kohleofen, Modell 1962, zu dessen Bergung sechs Mann nötig waren. "Ich bin froh, dass wir das Stück gerettet haben. Das Haus, aus dem der Ofen stammt, steht heute nicht mehr", informiert Romanos. Auch Küchenfließen und Toilettentüren haben im Kaffee Schwarz ein neues Zuhause gefunden. Das Heben solcher Schätze war für Romanos eine Lehrstunde in Sachen DDR: "Ich habe mehr über Ostdeutschland durch das Haustauchen erfahren, als durch Bücher." Die Zustände der Häuser an sich und was sich darin fand, lieferten quasi Geschichten aus erster Hand, beschreibt der Amerikaner. Das Café damit einzurichten, gibt dem Ganzen allerdings keine Atmosphäre von gestern, sondern vielmehr eine wohlausgesuchte Note.
Was sich nicht für das Café verwenden lässt, wird über den hauseigenen Flohmarkt verkauft. So finanziert sich auch der Verein "Haustaucher", den Romanos gegründet hat und über den die kulturellen Veranstaltungen des Hauses laufen. "Eigentlich war es logisch, dass dieses Café ein Musikort werden soll", überlegt Romanos und erzählt von seinem Bruder, der sich als Jazz-Musiker in den USA verdingt und über den der Auswanderer "viele talentierte Musiker" kennt. So gesehen, wundert es wenig, dass die Mittwochabende im Kaffee Schwarz für Jazz-Jam-Sessions reserviert sind.
Das Konzept der Jam-Session ist dabei offen: Bands finden im Kaffee Schwarz ebenso eine Bühne wie jazz-affine Besucher, die selbst spielen können und wollen. Bei den Instrumenten ist das Kaffee Schwarz zwar noch nicht so aufgestellt, wie beim Mobiliar. Laut Romanos soll sich das allerdings ändern. "Die Anlage und eine Gitarre haben wir hier. Was wir brauchen, ist ein Schlagzeug und ein Klavier", betont der Inhaber. Der Gedanke dabei ist nicht nur, dass die Musiker ihr sperriges Gerät nicht jedes Mal selbst nach Lindenau schleppen müssen. "Für die Jam-Sessions brauchen wir mehr Musiker, die sich trauen, mitzuspielen", erklärt Romanos. Das Publikum sei da. Das "Problem" sei vielmehr ein anderes. "Wenn die Leute hier jazzen, wollen sie nicht mehr aufhören", ergänzt er lachend.
Auch regelmäßige Blues-, Folk- und Rockabende peilt das Kaffee Schwarz in Zukunft an. Zudem gastieren freitags häufig Künstler anderer Genres in den Räumen an der Georg-Schwarz-Straße. Wer auftritt, entscheidet der Chef zusammen mit seinem Team. Fest steht: "Die Musik muss ein relativ hohes Niveau haben", befindet Romanos. Und freilich sollte sie zu einem Ambiente passen, mit dem das Kaffee Schwarz auf dem besten Wege ist, das Viertel in Richtung Szenepflaster zu schubsen.
Felix Kretz

Leipziger Volkszeitung vom 17. Januar 2012

Das Kaffee Schwarz hat mittwochs bis samstags von 10 bis 23 Uhr geöffnet, sonntags von 10 bis 18 Uhr. Zudem wird jeden Sonntag ein Brunch angeboten.




Nachricht vom 19.01.2012
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