Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Manfred Lange und seine "Firma Otto Lange Werkzeug-Fachhandel"

25.09.2014

Bildinhalt: Gesichter der Georg-Schwarz-Straße: Manfred Lange und seine "Firma Otto Lange Werkzeug-Fachhandel" | Manfred Lange in seinem Laden / Foto: Enrico Engelhardt
Manfred Lange in seinem Laden / Foto: Enrico Engelhardt
 

Wenn seine Frühschicht beginnt, ist er wirklich schon zeitig im Laden. Ab 6:45 Uhr ist Manfred Lange dann in der Georg-Schwarz-Straße 6 unterwegs, kümmert sich um Anlieferungen, das Auffüllen von Regalen und andere Dinge, die vor der Ladenöffnung um 9:00 Uhr erledigt werden müssen. Mit seinem Ladengeschäft „Firma Otto Lange Werkzeug-Fachhandel“ am Anfang der Magistrale ist er einer der Alteingesessenen, die auch die turbulente Wendezeit überdauert haben. Manfred Lange, Jahrgang 1944, hat fast sein ganzes Leben in Lindenau verbracht. Zwischen 1959 und 1962 machte er in der Lützner Straße 186 seine Ausbildung bei der Firma Wagenseil.

Im November 1962 übernahm er den väterlichen Betrieb in der Georg-Schwarz-Straße. Damals war es nicht nur ein Werkzeugfachhandel sondern „ein produzierender Betrieb“. „Das war früher eine Dreherei. Lindenau war ja ein Arbeiterviertel, da gab es überall in den Hinterhöfen produzierende Betriebe“, erklärt Manfred Lange. An seine Nachbarn aus den 1960er Jahren kann er sich noch gut erinnern: „Die Georg-Schwarz-Straße war eine belebte Geschäftsstraße. Jedes Haus war bewohnt, jedes Ladenlokal belebt. Hier gab es keinen Leerstand. Gleich vorn in der Georg-Schwarz-Straße 1 war unten der Stufenbäcker drin. Hier nebenan in der Georg-Schwarz-Straße 8 war die Firma Braune ansässig, die Heizkissen und Reisebügeleisen produzierte. Dann gab es die Firma Huck, eine Glaserei, die hier vorn ihre Produktionsstätte hatte. Gegenüber in der Georg-Schwarz-Straße 3, wo jetzt die Kneipe drin ist, war früher ein Radio- und Fernsehgeschäft. Die Buchhandlung gab es damals auch schon. In der Hausnummer 9 war ein Uhrengeschäft zu finden. Im Haus an der Ecke, zur Holteistraße hin, war Schuhschäfer drin und gegenüber das Kino.“ Das eigene Geschäft lief gut, bis zum Anfang der 1970er Jahre. Auch danach konnte sich die Dreherei über die Auftragslage nicht beklagen. Allerdings war Manfred Lange da kein Eigentümer mehr. An das Jahr 1972 hat er schlechte Erinnerungen: „Da kam die Enteignung. Alle Betriebe, die mehr als zehn Beschäftigte hatten, wurden enteignet. Wir hatten 14 Beschäftigte. Es gab eine kleine Entschädigung und mir wurde der Betrieb weggenommen. Plötzlich war ich nicht mehr der Inhaber sondern als Betriebsleiter ein Angestellter wie jeder andere. Der Gewinn war weg, ich bekam nur noch ein Gehalt.“ Das Geschäft lief unter dem Namen „VEB Zerspanungstechnik Leipzig“ weiter. Unter diesem Namen wurden zwei andere Firmen mitübernommen. Noch ein weiteres Mal sollte sich der Name des Betriebes ändern, zu dem noch andere Firmen hinzugefügt wurden. Manfred Lange arbeitete, obwohl immer an selber Stelle, nun für die „VEB Elektro-Maschinen-Anlagenbau-Leipzig“. Bis in die späten 1980er Jahre wurden Dreharbeiten in Serie produziert, für die gesamte DDR, auch bis an die Küste nach Sassnitz hoch. In der Freizeit genoss Manfred Lange seine Angelausflüge zum Elster-Saale-Kanal, wo er einer Angler-Betriebsgruppe angehörte. In seinem Hinterhof hat er auch jahrelang eine Falknerei betrieben, mit einem eigenem Habicht. Ein Bild des Vogels hängt immer noch in seinen Büroräumen. Auch um seinen Hinterhofgarten kümmert sich Manfred Lange liebevoll. „Der Garten verändert sich ständig“, erzählt er. „Zu DDR-Zeiten habe ich ihn als Nutzgarten mit Obstbäumen angelegt. Heute ist er ein reiner Ziergarten, mit asiatischen Bonsaibäumchen. Aber der braucht natürlich auch sein Pflege.“ Bis zur Wende war das Leben in der Georg-Schwarz-Straße, abgesehen vom abbröckelnden Putz an manchen Häusern, in Ordnung und ging seinen gewohnten geschäftigen Gang.

Damit war es 1990 vorbei. Manfred Lange, der nie Parteimitglied in der DDR war und sich an den Montagsdemonstrationen beteiligte, musste die Kehrseite der Wende vor Ort miterleben: „Der Niedergang ging schlagartig 1990 los. Der kleine Einzelhandel hier in der Straße musste der Reihe nach aufgeben, weil er der Konkurrenz auf der grünen Wiese nicht gewachsen war. Die großen Einkaufscenter wie der Saale-Park oder das Löwen-Center zogen nun die Kunden an. Hinzu kamen die neu eröffneten Supermärkte, mit deren Angeboten der Konsum an der Ecke nicht mithalten konnte. Hier brach die Arbeit weg und damit gingen auch die Leute. Viele Menschen sind weggezogen, der Arbeit hinterher, manche gingen auch gleich in den Westen und blieben dort.“ Manfred Lange wollte nicht weg. Im Gegenteil, er wollte seine Firma zurück und an gleicher Stelle weitermachen. Aufgrund eines Zeitungsartikels aus der Leipziger Volkszeitung, konnte er die Sache angehen. „In dem Artikel stand drin, dass ehemalige Komplementäre Anfang 1990 ihre Betriebe zurückkaufen könnten. Ich wollte das auch, ging also zu meinem Betriebsdirektor und sagte ihm, ich wolle meinen Betrieb zurückhaben. Wir mussten dann sogar zu einem Notar in Grimma, um die Formalitäten zu erledigen, weil Leipzig Notare in diesen Tagen total überfordert waren. Aber es ging alles gut. Am 1. Juli 1990 konnte ich meine Firma wiedereröffnen.“, erinnert sich der Firmeninhaber. Die Anfangszeit war schwer und die neuen Zeiten forderten bald ihren Tribut. Die „Firma Otto Lange“, die als Dreherei wiedereröffnet worden war, hatte bald keine Auftraggeber mehr. Maschinen mussten stillgelegt, Leute entlassen werden. Auch galten die Maschinen nun als veraltet. Nach zwei Jahren war die Produktion am Ende. Die letzten Maschinen wurden verkauft. Was sich nicht verkaufen ließ, landete auf dem Schrottplatz.

Nun stand Manfred Lange da, mit Mitte 40 und einer Familie, die er zu ernähren hatte. Die neue Zeit forderte neue Ideen: „Ich habe mir dann überlegt, es musste ja weitergehen, von was hab ich Ahnung? Der tagtägliche Umgang mit Werkzeug lag da auf der Hand. Wir haben dann nach und nach begonnen den Laden vorn zur Straße hin einzurichten. Früher gab es nur das Schubkastensystem in Werkzeugläden. Wir haben mit Wandpräsentationsflächen und Aufhängern gearbeitet. Das kam bei den Kunden auch gut an.“ Mit der Zeit etablierte sich der Laden. Kunden kamen nicht nur aus Lindenau, sondern von überall aus der Stadt und aus dem Leipziger Land. Im Vergleich zu den großen Baumärkten gab es bei Manfred Lange spezielles Profiwerkzeug. „Aber nur mit dem Laden hätte das Geld nicht gereicht. Es gab ja noch zwei andere Werkzeugläden zu dieser Zeit an der Straße. Das waren die Firma Heiden in Leutzsch und die Firma Moritz auf Höhe der Uhlandstraße.“, erklärt der Ladeninhaber und verweist auf seinen Großhandel. „Ich bin dann auch auf Außendienst gewesen und habe Firmen für unseren Werkzeugfachhandel gefunden, die wir beliefern konnten und teilweise noch bis heute mit Werkzeug beliefern. Der Außenhandel stabilisiert die Firma bis heute.“ Die Firma Heiden und die Firma Moritz gibt es nicht mehr.

Das langsame Wiederaufblühen der Georg-Schwarz-Straße nach zwanzig Jahren Niedergang und Stillstand ist von Manfred Lange wohlwollend bemerkt worden. Die Stadt Leipzig sieht er dafür nicht verantwortlich: „Die Stadt hat früher nichts für uns getan und heute auch nicht. Die Straße hier erholte sich durch Vereine und Investoren. Diese haben die Straße und die Häuser erhalten und gerettet. Angefangen hat das mit dem Casablanca-Verein in der Josephstraße. Die haben zuerst ihr Haus gemacht. Hier in der Georg-Schwarz-Straße hat sich erst mit den Hausprojekten um 2011 herum etwas wahrnehmbares getan.“ Der Kontakt mit den neuen Leuten aus den Hausgruppen und -projekten war schnell da. Sie brauchen zum Ausbauen der Häuser auch Werkzeug und kaufen bei Manfred Lange im Laden ein. Ein großes Geschäft sei dies für ihn aber nicht, verrät er: „Im Moment sieht es gut aus hier vor Ort. Durch den Zuzug von neuen Leuten profitiert die Straße, aber mein Geschäft lebt hauptsächlich von Aufträgen großer Betriebe. Aber es ist schön, dass Familien hierherziehen. Die Häuser sind wieder bewohnt, es herrscht mehr Ordnung und Sauberkeit. Das freut mich! Manchmal schmunzelte man bei Projekten auch und fragte sich was das wird, wie zum Beispiel in der Georg-Schwarz-Straße 10. Da war früher ein Fleischhandel und Konsum drin, dann stand das Haus leer und dann kamen die vom Rockzipfel-Verein und sind auch geblieben. Die passen auch hierher.“ Mit seinen fast 70 Jahren zieht Manfred Lange ein positives Fazit für die Magistralenentwicklung und die „Firma Otto Lange Werkzeug-Fachhandel“ ist durch seinen Sohn, der ebenfalls im Laden mitarbeitet, schon abgesichert. In der Georg-Schwarz-Straße funktioniert das Miteinander von Tradition und Neuem auch weiterhin.


Nachricht vom 25.09.2014
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